Diese Woche laß ich bei einem Follower, dass er sich über die "leeren Ränge" im Plenum aufregt. Tenor etwa: "was machen die denn den ganzen Tag, wohl nicht ihre Arbeit; die werden ihrem "Amt" nicht gerecht." Der Rest dessen, was ich dort lese, scheint demokratisch stabil, also interpretiere ich es nicht als Trollen.
Ich weiß, es gibt da draußen eine Fangemeinde für besonders schmissige Debatten. Das ist dann so ein: Schau, jetzt hat der aber ordentlich einen mitgekriegt!-Moment und man grölt den Bildschirm an und donnert "Jawoll!".
Manchmal denke ich, Leute halten MdBs für eine hochbezahlte Version der Opas aus der Muppet Show ('Waldorf und Statler'): Im Plenarsaal lümmeln, sich über alles Mögliche aufregen und gehässig von der Seite kommentieren. Der Bundestag ist nicht die Muppet-Show!
Let me explain:
Außerdem sind da die Reden: wenn Du eine Rede halten sollst/darfst erfährst Du das in der Regel weniger als 48 Stunden vor der Rede. Ab dann bist Du komplett unter Strom! Wenn Du Glück hast, kennst Du dich wenigstens im Thema irgendwie aus, wenn Du Pech hast, hältst Du eine Vertretungs-Rede zu einem Thema, mit dem Du dich noch nie (!) beschäftigt hast (Reform des Insolvenzrechts? Du bist doch Anwältin, das passt doch!). All das in weniger als zwei Tagen vorbereitung.
Diese Arbeit ist nicht unsichtbar: die allermeisten Ausschuss-Sitzungen werden gestream und sind öffentlich. Auch da gibt es Redebeiträge. Aber geschaut wird auf die Reden im Plenum; da ist großes Kino. Da ist tagesschau. Persönlich sehe ich das mittlerweile auch kritisch, weil es leicht zu Theaterberichterstattung (hier: "Die schönsten Tore aus dem Bundestag")
Das ist das "Grundrauschen der Arbeit"
Weiter:
Ihr macht Euch wahrscheinlich keine Vorstellung, was für einen Quatsch man auf den Schreibtisch bekommt: Special Interests rechts und links. Es herrscht wahrlich kein Mangel an Grüppchen, die gern eine Extrawurst von der Politik hätten. Meist: gut organisiert und mit schicken Büros in Toplage (Moltkebrücke!).
Viel weniger gut organisiert sind die Kreativen (ausgenommen: Verwerter): Ein Teil meiner Arbeit, den ich vor den Übergriffen meines Kalenders schütze, ist daher der direkte Austausch mit ihnen und ihren Vertretungen und Organisationen (zu einem kleineren Teil auch mit der Anwaltschaft). Dazu gehören unter Anderem z.B. die Programmkinos (die Verdienen Eure Solidarität und jeden Euro, den ihr erübrigen könnt) und die freie Kunstszene. Ich suche, diesen Austausch so oft es geht!
Und "suchen" ist dabei durchaus wörtlich gemeint, denn man findet sie gar nicht so leicht. Kreative sind nämlich ein - man meint es kaum - ein eher scheuer Menschenschlag: Oft extrovertiert und (zugleich) scheu und oft geradezu ängstlich.
Diese Kernbereich meiner Arbeit findet nicht im Plenum statt; nichtmal in den Liegenschaften des Bundes, sondern in Atelliers und Ausstellungsräumen.
Fast Geschafft!
Was man also im Plenum nicht machen kann (es sei denn man steht gerade selbst am Pult) ist: seine Arbeit erledigen. Ich weiß, das klingt widersinnig und deshalb versuche ich es plastisch zu erklären:
Nehmen wir an: es ist ein beliebiger Donnerstag und der Vormittag gehört dem Themenbereich "Gesundheit"; sagen wir "Krankenkassenrecht"; später geht es z.B. um "Finanzierung von bestimmten Gesundheitsleistungen in der PKV".
Das ist ein Fachthema für Fachpolitiker. Das ist aber nicht /mein/ Thema. Ich habe davon keinen Schimmer. Ich bin gesetzlich versichert.
Jetzt kann ich da natürlich sitzen, aber der 'Mehrwert' für meine inhaltiche Arbeit ist gleich Null. Tatsächlich würde ich mich quasi vor der Arbeit drücken, säße ich während einer Fachdebatte dort.
Säße ich da (um den Saal voll aussehen zu lassen) würde ich in dieser Zeit nicht mit Leuten von den Programmkinos reden; nicht mit den Museen; nicht mit der Kulturszene. Nicht mit Kreativen über KI sprechen.
Ich würde - maW - nicht das machen, was ich als MdB tun sollte: mich informieren, Gespräche führen, Stellungnahmen durcharbeiten, ein Gespür für meine Szene bekommen. Dieser Donnerstag wäre für mich ein absolut verlorener Tag.
Zu recht würden meine Kulturleute sagen: "Awet, das ist nicht Dein Thema; Du hältst zu diesem Thema keine Rede. Was zum Teufel machst Du da eigentlich den halben Tag im Plenum? Vielleicht machst Du mal lieber deinen f-ing Job!"
Witzig eigentlich: das sagt ja auch der Follower, der sich über den "leeren" Plenarsaal beschwert, aber meine Kulturys haben (im Gegensatz dazu) halt recht.
Ich wäre dann wirklich eine Oma aus der Muppet-Show; ein verschrobener Charakter, der miesepetrig von der Seitenlinie mault. Würde man uns ernstlich für so ein Theater jede zweite Woche aus ganz Deutschland (bei mancher MdB sogar: aus dem Ausland, könnt ihr googlen) auf Steuerzahlerkosten einfliegen, ich könnte den Verdruß verstehen.
@AwetTesfaiesus Das heißt im Umkehrschluß doch aber, daß die Nichtanwesenden ggf. bei folgenden Abstimmungen nur Stimmvieh sind, denn sie haben, wie Du ausführtest, vom Thema keinen blassen Schimmer und stimmen stumpf nach Fraktionsvorgabe ab?
Ferner: was ist mit den existenten (Nacht-) Abstimmungen gerne während (Fußball-) EM oder WM bei zweistelligen Anwesenden (d/m/w)? Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/ablenkungsmanoever-was-der-bundestag-waehrend-der-wm-alles-100.html